Prof. Dr. Heinz Theisen

Politikwissenschaftler

West-nahöstliche Verstrickungen

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Nach der Corona-Pandemie: Koexistenz und Grenzen der Kulturen

Der von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs in der Levante implantierte Nationalstaat fand dort nie wirkliche Akzeptanz. Clan- und Stammesstrukturen sowie ethnische und konfessionellen Gemeinschaften standen quer zu ihm. Brutale Diktaturen waren die unvermeidliche Voraussetzung zu ihrem Zusammenhalt. Über die Implantierung der Demokratie durch die westlichen Mächten betriebenen militärischen Interventionen in Afghanistan und im Irak wurden Konflikte und Kämpfe der Konfessionen und Stämme erst recht vorangetrieben.

Die Demokratisierung Afghanistans und des Iraks sowie die Zerstörung Libyens haben zwar Despotien beseitigt, zugleich aber Anarchie und inneren Kriegen den Weg geebnet. Im Syrienkrieg offenbarte sich die ganze strategische Ratlosigkeit des Westens als dieser nicht einmal mehr wusste, ob er vorrangig die säkulare Despotie Asads oder den noch schrecklicheren Islamischen Staat in der Levante bekämpfen sollte. Die gern beschworenen „Demokratischen Rebellen“ entpuppten sich als Schimäre, kleine Gruppen ohne jeden Einfluss.

Die jahrzehntelang als Beispiel für einen säkularen, sogar laizistischen Staat gerühmte Türkei wird heute von einem gewählten Muslimbruder angeführt und ist wieder zu den Herrschaftsansprüchen des Osmanischen Reiches zurückgekehrt. Gleichwohl stellt die Türkei Ansprüche auf materielle Teilhabe an der Europäischen Union. Durch ihre Mitgliedschaft in der Nato gehört sie dem wichtigsten westlichen Bündnissystem an, was absurde Verstrickungen heraufbeschwört.

In Syrien bekämpft die Türkei kurdische Volksgruppen, vormalige Bodentruppen der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat. Nur durch den Rückzug amerikanischer Truppen vom Gebiete der verbündeten Kurden wurde ein Zusammenprall der beiden größten Nato-Mächte verhindert. Nach ihrer Besetzung brandschatzen islamistische Söldner die Region im Auftrag der Türkei, um eine spätere Rückkehr geflohener Kurden auszuschließen.

Und nirgends eine Lösung und ein Friede in Sicht. Der Zerfall geht weiter bis in die Auflösung der molekularen Ordnungsstrukturen von Familien und Stämmen. Asad ist zwar der militärische Sieger, aber die amerikanischen Sanktionen lassen an keinen Wiederaufbau denken.

Trotz der von Beginn des Syrienkrieges an auf Auflösung und Aufteilung Syriens ausgerichteten türkischen Politik, steht der Ausschluss der Türkei aus der Nato noch immer nicht zur Debatte. Die türkische Erpresserrolle in der Flüchtlingspoltik dramatisiert die west-östlichen Konflikte zusätzlich. Mit der Akzeptanz eines kulturalistischen Neoimperialismus führt sich die Verteidigungsgemeinschaft Nato als Wertegemeinschaft ad absurdum. Von Emmanuel Macron muss sie sich als „Hirntod“ verhöhnen lassen. Sie ist jedenfalls nicht mehr strategiefähig, da sie aufgrund ihrer Verstrickungen nicht mehr zwischen Freund, Gegner und Feind zu trennen weiß.

Die Europäer sind auch den Übergriffen in Libyen und hinsichtlich der anhaltenden Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer nahezu hilflos ausgeliefert. In Libyen verfolgt der Eroberer neben dem Zugriff auf Ölfelder das Nebenziel, Europa in die Zange von Flüchtlingsbewegungen aus dem Nahen Osten und Afrika nehmen zu können. Während sich die Europäer den Gebaren Putins noch aufgrund der räumlichen und bündnispolitischen Abgrenzung mit Sanktionen entgegenstellen könne, finden sie aufgrund ihrer Verstrickungen gegenüber der Türkei keine Antwort.

Vor dem demokratischen Interventionismus des Westens wurden die Verstrickungen vor allem durch Ölinteressen vorangetrieben. Der ansteigende Ölpreis seit den siebziger Jahren finanzierte auch das Ansteigen des Islamismus, der seit der Machtergreifung Chomeinis 1997 auch die inneren Spannungen des Nahen Ostens sowohl zwischen schiitischen und sunnitischen als auch zwischen säkularen und integristischen Kräften vorantreibt.1 Die Öl-Einnahmen ermöglichten es Islamisten, über ihre Moscheen, Koranschulen und Waffen den Islamismus in der vordem eher säkularen Levante und zunehmend auch unter den Muslimen Europas voranzutreiben.

Identitäre Narrative in der Sackgasse

Die islamistische Verabsolutierung des Religion treibt auch die konfessionellen Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten voran, wodurch der Kampf der Kulturen um den Kampf in den Kulturen erweitert worden war. Je nach historischem Kontext und Denkschule lehrt der Islamismus Zurückhaltung und Verständnis oder Härte und Intoleranz, mal Überzeugung durch die Kraft des Wortes, mal Unterwerfung durch Waffengewalt. Gerade aufgrund der Vielfalt seiner Methoden kann er sein Eroberungsprogramm vorantreiben.

Die empirischen Erhebungen sind beunruhigend. Islamistische Erzählungen sind attraktive Motive für die Verlierer der Moderne und gewannen daher nicht zufällig parallel zu den globalen Modernisierungsprozessen an Bedeutung.2 Für die Gewinner wie für die Verlierer bleibt der Westen immer noch der Maßstab.

Europas Eliten finden sich mit der islamischen Herausforderung nicht zurecht. Ihr Selbstbeschuldigungskultur sucht selbst die Ursachen des totalitären Islamismus im westlichen Wesen, der Kolonialzeit und Interventionen, von Diskriminierungen und mangelnder Integrationswilligkeit unsererseits, lauter Halbwahrheiten, bei denen immer die Rolle der anderen Seite ausgeklammert bleibt, etwa der Kolonialismus der Osmanen auf dem Balkan oder die vom fundamentalistischen Kulturalismus genährte Integrationsverweigerung und Intoleranz vieler Muslime. Die Behauptung, Islamismus habe nichts mit dem Islam zu tun, ist ähnlich sinnvoll wie Stalinismus habe nichts mit Marxismus zu tun. Sie verhindert bereits kritische Auseinandersetzung mit den immer auch religiösen Wurzeln der politischen Ansprüche.

Ersatzweise werden die Boten für die Botschaft bestraft und mit der „Islamophobie“ Islamkritiker als krank oder sogar zu „Rassisten“ erklärt. Im Namen der globalistischen Ideologie von der „Einen Menschheit“, in der es keine Feinde und Bösen, keine Eroberer und Schädiger geben darf, werden alle Übel der eigenen Kultur dem Westen in die Schuhe geschoben werden. Im Gefolge dieser Ideologie löst sich der Westen als Werte- und Selbstbehauptungsgemeinschaft auf. Unterwerfungsbereite Multikulturalisten attackieren diejenigen, die noch für eine Selbstbehauptung des Westens eintreten. Angesichts der vorausgesetzten Globalität gilt die Behauptung von Unterschied als „Orientalismus“ oder neuerdings eben als Rassismus. Mit der Differenzierung ist das Denken im Grunde abgeschafft worden.

Die Schlechtigkeit des Menschen bis hin zur Todfeindschaft wird entgegen dem Rat aller Weltweisheiten nur noch bei denen gesucht, die diese Ideologie nicht teilen und auf Unterscheidungen und Grenzziehungen bestehen. Die Anti-Rassismus-Bewegung ist der Höhepunkt an Selbstverleugnung der westlichen Kultur, indem vorsätzlich Einzelvorkommnisse zum Systemmerkmal erklärt werden.

Die Selbstgeißelung hat den Boden der notwendigen Selbstkritik längst hinter sich gelassen. Da sie umgekehrt mit konsequenter Verleugnung der Schlechtigkeiten in anderen Kulturen einhergeht, gefährdet sie die eigene Selbstbehauptung. Ehrenmorde, Clankriminalität und Islamismus werden aus dem Kolonialismus und Diskriminierungen heraus erklärt. Die Verstrickungen der Kulturen schlagen sich in heillosen geistigen Verwirrung nieder. Die paradoxe Sympathie von Emanzipations- und Veränderungsbewegungen für den Islam lässt sich nur aus ihrer gemeinsamen Feindschaft zum Westen erklären. Sie sollten sich daran erinnern, dass die gemeinsame Feindschaft zum Shah der iranischen Linken nichts genutzt hat. Sie haben sich mit der Machtergreifung der naiv unterschätzten Theokraten diesen ausgeliefert.

Die Verleugnung des Eigenen zugunsten der imaginierten Menschheit ist eine spezifisch westliche Idee, die andere Kulturen nicht teilen, aber auszunutzen verstehen. Dieser Universalismus hat christliche und aufklärerische Wurzeln. Indem er die beiden Geistesbewegungen innewohnenden skeptischen Ansätze außer Acht lässt, entpuppt sich der Globalismus als Weg zur Selbstauflösung des Westens. Kulturrelativisten bedauern dies nicht, da ja alle Kulturen gleichwertig sind. Wenn Diversität und Toleranz als allein gültige Werte gelten, geht die Selbstbehauptung dahin. Am Ende lähmt diese Gesinnung sogar die Arbeit von Polizei und Justiz, etwa im Hinblick auf die jahrzehntelang tolerierte Clankriminalität in deutschen Großstädten.

Orient und Okzident sind in dem Sinne nicht mehr zu trennen als sie durch ihre Verstrickungen gemeinsam ins Chaos abzugleiten drohen. Ein ernsthaftes Bemühen um eine künftige Trennung ist nicht erkennbar. Durch den UN-Migrationspakt wurde Migration zu einer Art Menschenrecht erklärt. Die dauerhafte Aufnahme von Flüchtlingen wird Verstrickungen der Kulturen weiter vorantreiben.

Aufwand und Gefahr für den Einzelnen sowie die Kosten der Aufnahmegesellschaft sprechen gegen offene Grenzen. Nur mit staatlichen Grenzen – so Julian Nida-Rümelin - lassen sich der Primat des Politischen und damit auch Humanität langfristig behaupten. Auch kosmopolitische und humanitäre Perspektiven sprächen daher gegen eine Politik der offenen Grenzen.3

Israels zivilisatorische Vernetzung mit der arabischen Welt

Mit der Corona-Pandemie sind die Ölpreise ins Bodenlose gefallen. Saudi-Arabien und Oman brauchen für ihren Staatshaushalt einen Fasspreis von 87 Dollar, die Vereinigten Arabischen Emirate 70 Dollar. Bereits vor dem Preissturz im Frühjahr 2020 auf 15 bis 25 Dollar pro Fass waren deren Budgets stark defizitär, eine gute Nachricht für den Frieden im Nahen Osten.4 Der Ölpreisverfall ist nicht nur der Demobilisierung geschuldet. Kernenergie und alternative Energien, aber auch das Fracking in den USA haben den Westen unabhängiger gemacht - wissensbasierte Technologien bleiben eine Trumpfkarte des Westens.

Nachdem die Anschlussfähigkeit an die Industriegesellschaft nicht gelungen ist, muss das Ringen um eine Anschlussfähigkeit an die wissensbasierte Wirtschaft gelingen. Dafür wird statt Verstrickung Vernetzung mit dem Westen gefordert sein. Unter wissensbasierter Zivilisation verstehen wir die Eigendynamik von Funktionssystemen, die sich durch die Digitalisierung weltweit vernetzen und die Reichweiten der Kulturen überwölben.

Eine insbesondere den Nahen Osten hart treffende Bedrohung ist die Ausbreitung von Wüsten bei gleichzeitig ansteigender Bevölkerung. Wüsten, Trockengebiete und Steppen der Erde breiten sich aus – jedes Jahr um eine Fläche, die ungefähr der Größe Deutschlands entspricht. Der israelische Schriftsteller Chaim Noll sieht eine Tragödie unserer Tage darin bestehen, dass dem Westen alle technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten gegeben sind, um die Wüstengebiete der Erde in ein zivilisiertes, lebensfähiges und mit moderner Infra-Struktur versehenes Ambiente zu verwandeln. Millionen in Lager lebenden Menschen könnten erträgliche Lebensumstände verschafft werden. Bisher verharren die meisten Wüstenstaaten aber in starren, innovationsfeindlichen Strukturen oder fallen sogar in Bürgerkriege zurück.5

Auf die Bedrohung durch die Wüste gebe es – so Chaim Noll - zwei Antworten: Flucht oder Widerstehen. Neben den Landschaften der Versteppung und Desertifikation stünden hunderte Projekte bereit, Wüsten zu bewässern und sie für Menschen bewohnbar zu machen. Technologien, die die Segen der Wüste - weite Räume, Sonnenenergie, fruchtbare, mineralhaltige Böden, unterirdische Gewässer - für die Völker der Region in praktische Hilfe zu verwandeln, wurden längst entwickelt und zeitigen wie in Israel erstaunliche Wirkungen.

Aus zivilisatorischer Perspektive könnte Israel ein Brückenkopf zwischen den Kulturen und für seine Nachbarn hilfreich sein. Im Jahr 2017 meldeten die fünf arabischen Länder Irak, Palästina, Jemen, Syrien und Jordanien zusammen neun hochkarätige Patente an. Aus Israel kamen mehr als zweihundertmal so viele.

Heute kann Israel seine Existenzberechtigung im Nahen Osten schon aus seinen zivilisatorischen Leistungen ableiten. Die in den neuen Verträgen zwischen Israel und arabischen Ländern anvisierte Zusammenarbeit bei Landwirtschaft, Forschung, Tourismus und Terrorbekämpfung richtet sich vor allem auf den Aufbau gemeinsamer zivilisatorischer Projekte - vom Kampf gegen Desertifikation bis zu Investitionen in die Digitalisierung.

Das palästinensische Narrativ, wonach jedes Volk Anspruch auf einen eigenen Nationalstaat habe, verliert angesichts des Zerfalls der Nationalstaaten in ihrer Umgebung an Sinnhaftigkeit. Kurden und andere Volksgruppen könnten mit gleichem Recht eigene Staaten fordern, was die Region endgültig in einen Flickenteppich verwandeln würde. Das nationalistische Narrativ konkurriert zudem auf selbstzerstörerische Weise mit dem islamistischen der Hamas. Die Palästinenser leben umso besser, je mehr sie sich mit dem hochentwickelten Israel einlassen. Dies gilt vor allem für die 1,5 Millionen israelischen Palästinenser und auch dort, wo die Fatah in der Westbank mit Israel diskret kollaboriert.

Um als Zivilisation zu überleben, braucht die islamische Kultur einen anderen als politischen Paradigmenwandel. Der Weg muss von den kollektivistischen Identitäten der Vergangenheit zu ökonomisch und dann individuell zu nutzenden Interessen. Israel kann mit autoritären Mächten des Nahen Ostens leben, aber nicht mit dem totalitären revolutionären Islam sei es des Iran oder des Islamischen Staates. Totalitäre Mächte müssen eingedämmt werden, wie es die USA im Falle des Iran versuchen.

Grenzen zwischen den Kulturen

Um als westliche Kultur zu überleben braucht der Westen Grenzen. Nach der Corona-Pandemie wird das Thema der Grenzen neu diskutiert werden., denn auch in ihr wurde der Westen Opfer ihrer Entgrenzungen und Verstrickungen. Während China diesen Virus mit totalitären Methoden im eigenen Land in den Griff zu bekommen scheint (oder ihn einfach ignoriert), quälen sich sowohl der Nahe Osten wie der Westen mit den Folgen herum.

Taiwan, Südkorea, Japan und Singapur kannten ihre Pappenheimer und hatten die Grenzen zu China nach ersten Gerüchten umgehend geschlossen. In Deutschland durften Flüge aus China noch bis Mitte April ohne jede Auflage und Quarantäne-Bestimmungen landen.

Da die europäischen Grenzen sich in der Corona-Pandemie als nicht schützend erwiesen, erlangten die nationalen Grenzen innerhalb Europas neue Bedeutung. Dies lehrt, dass die angeblich unaufhaltsame Globalisierungsdynamik aufhaltbar ist und die arbeitsteilige Gewinnung von Wissen und arbeitsteilige Warenproduktion auch möglich sind, wenn Grenzen für Menschen weitgehend geschlossen sind. Die Kontrolle der Wanderung von Personen über Staatsgrenzen hinweg erwies sich als möglich.6

In der Corona-Pandemie waren nur die sozialen und medizinische Infrastrukturen der Nationalstaaten handlungsfähig. Seitdem gelten Gesundheitskontrollen an Grenzen nicht mehr als nationalistisch, sondern als Ausdruck legitimer Schutzbedürfnisse.

Europa im westlichen Kulturkreis

Die Entgrenzung der Nato bis zu den Interventionen im Mittleren und Nahen Osten ist gescheitert und hat umgekehrt den Weg frei gemacht für das Vorrücken der anderen: vor allem des islamischen Kulturuniversalismus und des chinesischen Imperialismus. Sobald der westliche Universalismus überwunden ist, kann die Nato sich auf die Eindämmung des Universalismus der Anderen konzentrieren.

Eine konföderierte, nach innen den Nationalstaaten mehr Souveränität und Vielfalt ermöglichende und nach außen handlungsfähige Europäische Union könnte eine Burg in einer multipolaren Weltordnung sein. In ihr müssen sich die Mächte auf ihre eigene Hemisphäre begrenzen und diese behaupten.

Das „globale Engagement“ zeigt im humanitären Rahmen, aber auch bei militärischen Interventionen in fremden Kulturkreisen alle Zeichen von Überdehnung. Europas Vorfeldsicherung sollte daher nicht am Hindukusch, sondern im Mittelmeerraum, auf dem Balkan, in der Levante und in Nordafrika beginnen: mit Hilfen beim Aufbau zur Berufsausbildung, zur Infrastruktur und Produktionsstätten. Eine europäische Asyl- und eine Verteidigungspolitik könnte als Pfeiler und im Rahmen der Nato weit mehr Beiträge zum Selbstschutz leistet.

Bei der Suche nach Bündnispartnern ist die alte Unterscheidung nach autoritären und totalitären Mächten gefordert. Mit autoritären Mächten kann man in vielen Funktionssystemen nach dem Prinzip Gegenseitigkeit kooperieren, mit totalitären Mächten lässt sich nur in Koexistenz leben, sofern zuvor deren Eindämmung gelungen ist. In der multipolaren Welt braucht Europa weniger gute Beziehungen zum Iran als zu den USA.

Eine Politik der Koexistenz ginge - statt von der Relativität - von der Inkompatibilität jedenfalls west-nahöstlicher Kulturen aus. Eine säkulare und liberale Wertordnung bildet keinen Regenbogen mit dem islamistischen Fundamentalismus. Während die Ideen von Universalismus und Globalismus die Konflikte zwischen den Kulturen eher vorantreiben, könnte eine Politik der Koexistenz von Kulturen so friedensstiftend wirken wie die Koexistenz der Ideologien im Kalten Krieg.

1 Gilles Kepel, Chaos. Die Krisen in Nordafrika und im Nahen Osten verstehen, München 2018.

2 Neuere Erhebungen zeigen, wie über den Islamismus die muslimische Welt bezüglich Demokratie, Bildung und wirtschaftliche Lage ins Hintertreffen geraten ist. Vgl. Ruud Koopmans, Das verfallene Haus des Islam. Die religiösen Ursachen von Unfreiheit, Stagnation und Gewalt, München 2020.

3 Julian Nida-Rümelin, Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration, Hamburg 2017

4 Christian Weisflog, Die Ölkrise erschüttert den Nahen Osten, in: Neue Zürcher Zeitung v. 27.4.2020.

5 Chaim Noll, Die Wüste. Literaturgeschichte einer Urlandschaft des Menschen, Leipzig 2020. S.677.

6 Thilo Sarrazin, Der Staat in seiner Grenzen. Über Wirkung von Einwanderung in Geschichte und Gegenwart, München 2020.