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Heinz Theisen

Trump und die neue Weltordnung - Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und den gescheiterten Versuchen zum Aufbau einer von den USA geführten liberalen Weltordnung steht die Welt ohne erkennbare Ordnungsstrukturen da. Henry Kissinger sieht uns zwischen drohendem Chaos und einer noch nie da gewesenen Interdependenz lavieren.

Der Westen hat durch neoliberale Globalisierung, durch neokonservativen Interventionismus und durch idealistischen Universalismus zur heutigen Weltunordnung erheblich beigetragen. Gemeinsam haben sie den Westen zunächst nach aussen und innen überdehnt, andere Kulturen und viele ihrer eigenen Bürger überfordert.

Die Ängste um soziale Besitzstände im Westen sind eine Entsprechung zum grassierenden Identitätswahn im Orient. Die Versuche, den «Populismus» durch Ausgrenzung aus dem politischen Diskurs zum Schweigen zu bringen, sind mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump gescheitert. Es wird Zeit, auch abweichende Meinungen im Spannungsfeld von Weltoffenheit und Stabilität politisch zu integrieren.

Obamas Weg zwischen alle Stühle

Mit Trump geraten alle politischen Kategorien in Unordnung. Er ist gegen Globalisierung, gegen das Establishment, gegen die Weltpolizistenrolle, für Protektionismus und für ein gutes Verhältnis zu Russland. Er unterscheidet sich von der politischen Linken durch Deregulierung nach innen und mehr Regulierung nach aussen, womit er deren Widerspruch zwischen nationaler und internationaler Solidarität aufzuheben versucht.

Die Gemeinsamkeit von Brexit und Trump liegt darin, dass sie eine grössere Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung anstreben. Im Übergang von Obama zu Trump droht der Internationalismus in sein Gegenextrem eines neuen Partikularismus und regressiver Nullsummenspiele umzuschlagen. Die Bewältigung dieser Gefahren erfordert daher eine multipolare Weltordnung.

Barack Obamas Versuche, das interkulturelle und multilaterale Narrativ mit dem liberalen Universalismus des Westens zu verbinden, wären die Quadratur des Kreises gewesen. Sie führten ihn zwischen alle Stühle. In Syrien kämpften seine Piloten gegen den Islamischen Staat, aber nicht für Asad, neben, aber nicht mit Russland und der Türkei, nur zugunsten angeblich «demokratischer Rebellen», die keine politische Relevanz besitzen.

Trump verkörpert dagegen die Antithese sowohl zum liberalen Universalismus als auch zur grenzenlosen Globalisierung. Sein Nationalismus ist defensiv. Die USA sollten – so die Botschaft seiner Inaugurationsrede – nicht mehr versuchen, anderen Staaten ihre Lebensweise aufzudrängen, sondern nur noch ein Beispiel setzen. Die USA wollen in der Weltpolitik keine moralischen Sonderlasten mehr tragen, sondern auch dort nach ihrem eigenen Vorteil suchen.

Donald Trumps Rückzug von der auferlegten und angemassten Weltpolizistenrolle ist jedoch nur eine halbe, nämlich nur eine defensive Strategie. Da weite Teile der Welt längst der westlichen Vorherrschaft entglitten sind, wäre erst eine multipolare Weltordnung eine realistische Alternative zu Chaos und Weltunordnung. Auch individuelle Menschenrechte helfen ohne ein Minimum an kollektiver Stabilität niemandem.

Die Statements von Donald Trump dazu sind widersprüchlich. Doch weit eher als Hillary Clinton scheint er für nüchterne Interessendeals auch mit autoritären Mächten aufgeschlossen zu sein. Dafür wäre zunächst ein besseres Verhältnis des Westens zu Russland und China gefordert. Im Sicherheitsrat der Uno genügt ein Veto Russlands oder Chinas, um deren multilaterale Handlungsfähigkeit lahmzulegen.

Für eine globale Neuordnung fehlt bei Trump noch ein klares Bekenntnis zum Paradigmenwandel zu einer Koexistenz der Mächte. In einer multipolaren Weltordnung müssten unvermeidlich Einflusssphären akzeptiert werden, frei nach dem Motto: «Jedem sein Mittelamerika.» Die Kubakrise erinnert an die Gefahren, die eintreten, wenn dies nicht geschehen sollte.

Hegemonie und Gleichgewicht

Eine Weltordnung erfordert entweder Hegemonie oder Gleichgewicht. Erstere ist nirgends mehr in Sicht, Letzterem werden wir uns ohne abgesteckte Grenzen und abgestimmte Gegenseitigkeiten nicht einmal annähern können. Für eine steuernde Politik werden sowohl physische Grenzen als auch Abgrenzungen zwischen Funktionssystemen gebraucht. Sonst drohen die Folgen nahöstlicher Kämpfe ungehindert in alle Richtungen auszugreifen. Auch eine unbegrenzte ökonomische Kolonialisierung von Kulturen schlägt in Fundamentalismus und Fanatismus um.

Der Kampf des jihadistischen Islams ist nicht allein gegen die «Freiheit des Westens», sondern gegen die ausdifferenzierte Zivilisation überhaupt gerichtet. Trump will den Islamismus «ausradieren», den sein Vorgänger nicht einmal wahrnehmen wollte, weil er nicht in sein interkulturelles Weltbild passte.

Die Einflusssphären der Grossmächte dienen der Stabilität, da sie unbotmässige Ausreisser zur Räson bringen könnten. Wer Iran und Nordkorea in Schach halten will, braucht tragfähige Beziehungen zu Russland und China, wer den Islamischen Staat besiegen will, muss sich auch mit undemokratischen, aber säkularen muslimischen Mächten arrangieren.

Die Bekämpfung des Islamismus könnte als Minimalkonsens zwischen allen säkularen Mächten dienen. Angesichts der neuen totalitären Herausforderung kann sich der liberale Westen keine weitere Ausgrenzung autoritärer Regime wie Russland und China mehr leisten. Auch mit dem Militärregime in Ägypten oder Monarchien wie in Jordanien und Marokko sind keine Wertegemeinschaften, aber Sicherheitspartnerschaften möglich.

Die Selbstbehauptung Europas

Die EU wird durch Trumps «America first» gezwungen, ihre Rolle zu definieren. Wer ein staatsähnliches Gebilde anstrebt, kann sich nicht länger vor der Hauptaufgabe jeder Staatlichkeit drücken: dem physischen Schutz der Bürger, die nicht am Hindukusch, sondern an eigenen Grenzen und im eigenen Land verteidigt werden wollen.

Aus dem obersten politischen Gebot der Selbstbehauptung liessen sich Kriterien für Mitgliedschaft und Einwanderung, also für eine Selbstbegrenzung, ableiten. Aus ihnen werden auch die Fragen nach Grösse und nach Grenzen der Europäischen Union beantwortbar. Selbst die Aufnahme von Flüchtenden ist sicherheitspolitisch nur in dem Masse verantwortbar, wie sie von Polizeiund Geheimdiensten kontrollierbar bleibt.

Es geht auch in der Weltordnung nicht um ein Entweder-oder, sondern um mittlere Wege zwischen Universalismus und Partikularismus, Internationalismus und Nationalismus, Offenheit und Selbstbehauptung, Entgrenzung und Abgrenzung. Die Suche nach ihnen wird ähnlich aufwendig sein, wie es die nach Mittelwegen zwischen Kapital und Arbeit in der sozialen Marktwirtschaft war.

Ohne starke Nationalstaaten wird es schon in Europa keine erfolgreiche interoder supranationale Arbeit geben. Umgekehrt brauchen die meisten Nationalstaaten aufgrund mangelnder Macht gegenüber transnationalen Prozessen eine interund supranationale Agenda. Gegensätze von Internationalismus und Nationalismus liessen sich durch pragmatische Aufgabenverteilungen moderieren.

Weder Trumps Protektionismus noch seine Kritik am Interventionismus der USA sind einfach «rechts». Bereits Obama setzte auf Rückzug aus den Brandherden der Welt. Es war überfällig, Widersprüche und Nebenfolgen einer ideologisierten Weltoffenheit zu thematisieren. Damit dies nicht in Gegenextremen endet, brauchen wir offene Diskurse, die in einer Strategie zur Selbstbegrenzung und Selbstbehauptung münden sollten.