Prof. Dr. Heinz Theisen

Politikwissenschaftler

«Rinks» und «lechts» als Zukunftskonzept - Die Globalisierung lässt auch Ideologien alt aussehen

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Die Linke ist aufgrund ihrer universalistischen Ideale nicht in der Lage, einen Schutz vor dem weltweiten Wettbewerb und anderen Auswirkungen der Globalisierung zu propagieren. Die lokalen Bevölkerungen, zumal die kleinen Leute, wenden sich jenen zu, die strengere Grenzen und höhere Hürden für alles Fremde versprechen. Während sich die Linke ins Dilemma zwischen globaler und nationaler Solidarität verstrickt, verspricht der neue Protektionismus mehr Schutz vor grenzenlos agierendem Kapital, vor endloser Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und vor transnationalem Verbrechen.

Ob als Nationalismus, Ethno-Konfessionalismus oder als Wohlstandsseparatismus – in allen Formen des Protektionismus geht es um die Abkehr von der Globalität und um die Behauptung des Eigenen. Aber sobald sich die Protektionisten durchgesetzt oder selbst die Macht erlangt haben (wie dies beim Brexit und mit der Wahl von Donald Trump der Fall war), verstricken sie sich ebenfalls in die Dilemmata der Globalisierung. Angesichts der Interdependenzen des globalen Handels kann die Unterscheidung zwischen guten eigenen und bösen fremden Produkten nicht mehr stichhaltig gelingen.

So machen mexikanische Zulieferbetriebe die Endproduktion in den USA erst rentabel – ihre Ausgrenzung wäre weder im Interesse der Produzenten noch der Arbeiter und der Konsumenten. Wo es reale Win-win-Situationen für alle gab, droht mit dem Protektionismus die Regression in kriegstreiberische Nullsummenspiele, wodurch sich die ohnehin schon komplizierte Weltordnung dem Chaos annähert. Weder in linken noch in rechten Denkkonzepten finden sich brauchbare Strategien für die Bewältigung der Globalisierung.

Der Verrat der Linken

Die Linke hat als Ausweg aus dem Solidaritätsdilemma die Flucht aus dem Materialismus in den reinen Idealismus angetreten. Sie nimmt groteske materielle Ungleichheiten in Kauf, wenn nur die Gleichwertigkeit der Geschlechter und der Kulturen gegeben ist. Was von der Kritik der politischen Ökonomie und der aufklärerischen Rationalität bleibt, ist Moralisierung: Erst kommt die Moral, und dann erst kommen die Produktionsund Vermögensverhältnisse.

Im Multikulturalismus werden paradoxerweise selbst Kulturen als gleichwertig angesehen, welche die Gleichberechtigung von Mann und Frau aggressiv in Abrede stellen. Etwaige Widersprüche sollen mit dem interkulturellen Dialog eingeebnet werden, wobei die Preisgabe der eigenen Grundsätze nicht viel Mühe zu bereiten scheint. – Mit der Verschiebung des Gleichheitsbegriffs in den Bereich der Kulturen errang die Linke die kulturelle Hegemonie bis in konservative Kreise hinein. Dafür zahlten sie allerdings den hohen Preis, radikalliberale Entgrenzungen und neokonservative Interventionen im Namen des ethischen Universalismus mittragen zu müssen. Das Nation-Building in Afghanistan wurde für den grünen Aussenminister Joschka Fischer zum «Leuchtfeuer der Demokratie» im Mittleren Osten.

Doch auch die Gleichheit der Kulturen erweist sich als Täuschung. Je stärker der Westen sich im Nahen Osten universalistisch engagierte, desto mehr kochte der religiöse Fundamentalismus hoch. Je mehr wir Integration vorantreiben, desto stärker erblühen Nebenkulturen. Je offener in Europa die Grenzen gegenüber Flüchtlingen und Migranten wurden, desto mehr wandelte sich die einst idealistisch verklärte «Masse» der dagegen Protestierenden in den Augen der Linken zum «Pöbel». Schuld an dessen Verblendung trägt der «Rechtspopulismus». Dessen Bekämpfung scheint zum gemeinsamen Nenner aller Linken geworden zu sein.

Doch «populus» heisst das Gleiche wie «demos», nur auf Latein. Mit Volksbeschimpfung kann man in der Demokratie auf Dauer so wenig reüssieren wie mit Publikumsbeschimpfung im Theater. Die linke Kritik an zu viel Demokratie ähnelt mittlerweile der konservativen Vernunftskepsis von einst. Die Konservativen wiederum fordern die einst gefürchteten Volksbegehren und nähern sich mit ihrer Globalisierungskritik Karl Marx an. Solange beide Seiten diesen Rollentausch durch Diffamierung der anderen Seite verschleiern, liegt der demokratische Diskurs darnieder.

Die Entgrenzung der Ideologien hat auch die Extremisten erreicht. Bei ihnen reicht es nicht mehr länger zur Theorie, sondern nur noch zu Identitäten – sei es als Reichsbürger, als Antifaschist oder als Islamist. Je mickriger ihre verabsolutierten Halbund Viertelwahrheiten sind, desto mehr flüchten sie sich in den Kult von Aktion und Gewalt.

So blieb bei den Krawallen am G-20-Gipfel in Hamburg unklar, wogegen die Linksextremisten eigentlich demonstrierten: gegen den Globalisierungskritiker Donald Trump oder für den Globalisierungsfreund Xi Jinping, gegen die offenen Grenzen für die deutsche Exportwirtschaft oder für die offenen Grenzen für Migranten. Über dem Marodieren im kleinbürgerlichen Wohnviertel wurde die Tragödie eines Weltbildes endgültig zur Farce.

Der linke «Kampf gegen rechts» füllt zwar nicht die Köpfe, aber die Herzen aus. Er verdeckt vor allem den Blick auf den neuen Totalitarismus, welcher heute in religiösen Gewändern daherkommt, welcher Rechtsund Linksextremismus in sich vereint, indem er Einheit und Gleichheit zugleich in Aussicht. Linke und rechte Demokraten müssten bemerken, dass eine totalitäre Herausforderung von Säkularismus und gesellschaftlicher Ausdifferenzierung bedrohlicher ist als der «Nebenwiderspruch» zwischen liberaler und autoritärer Demokratie. Was nottäte, wäre, ein Bündnis für die Zivilisation zu schmieden.

Wer nicht links ist, gilt heute nicht mehr nur als «rechts», sondern als «böse». Diese Moralisierung der Politik grenzt selbst gemässigte Konservative aus dem Diskurs aus. Schlechtere Voraussetzungen für die demokratische Suche nach neuen Wegen sind kaum vorstellbar.

Solange jeder nur eine Erklärung für das Malaise bestimmter Globalisierungsprozesse zulässt, kommen wir in der Analyse nicht weiter. Protektionisten geben dem entgrenzten Wettbewerb, Liberale der mangelnden Selbstverantwortung und Konservative dem Werteverfall die Alleinschuld. Mit differenzierenden Einsichten, etwa dass in den USA zu viel Anpassung an die Weltmärkte, in Frankreich aber eher zu wenig gefordert wurde oder dass entgrenzte Finanzspekulationen oben und grenzenloser Konsum unten sich entsprechen, könnten sich Linke und Rechte, Liberale und Konservative gegenseitig gedankliche Impulse geben.

Offen für ein Sowohl-als-auch

Mit Emmanuel Macron hat immerhin ein Politiker mit präsidialem Gewicht postideologische Politik zum Markenzeichen seiner Bewegung erhoben. Macron will linke und rechte Politikelemente so zusammenpuzzeln, dass daraus etwas Neues erwächst. Doch wenn sich die alten Ideologien nicht endlich bewegen, wird dieses Sowohl-als-auch im Weder-noch enden.

Die Dialektik von Freiheit und Ordnung erfordert sowohl offene Märkte als auch kontrollierbare Staatsgrenzen. Statt mehr Deregulierung braucht die Globalisierung mehr Ordnungsund Strukturpolitik. Linke Hilfe und liberale Selbsthilfe, humanistisches Fördern und konservatives Fordern, durchlässige und kontrollierte Grenzen, die Synthesen liegen jenseits von These und Antithese.

Wer für liberale Frauenrechte kämpft, wird darüber konservativ. Die Bewahrung der Freiheitsrechte ist längst eine ebenso grosse Aufgabe, wie deren Erringung es war. Mit seiner Wertschätzung der Tradition schützt der Konservative noch vorhandene intakte Lebenswelten vor deren Ökonomisierung. Das «rechte» Engagement für das Eigene könnte auch als eine Form von Kommunitarismus gewürdigt werden. Der linke Humanismus seinerseits bewährt sich wiederum in zivilgesellschaftlichen Prozessen. Indem Linke und Rechte ihre Ergänzungsbedürftigkeit erkennen, werden sie auch ihre Ergänzungsfähigkeit entdecken.