Prof. Dr. Heinz Theisen

Politikwissenschaftler

Kampf um die Zivilisation

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Europa braucht eine Strategie der Selbstbegrenzung und Selbstbehauptung

Die westliche Politik, sich einerseits offensiv in die Angelegenheiten des Orients einzumischen und andererseits in Europa auf schützende, sogar auf kontrollierende Grenzen zu verzichten, ist gescheitert. Europas zukünftige Nahoststrategie muss im Gegenteil eine neue Selbstbegrenzung an die Stelle der äußeren Überdehnung und eine neue Selbstbehauptung an die Stelle grenzenloser Offenheit setzen.

Der erste Schritt zur strategischen Umorientierung läge im Abschied vom westlichen Universalismus. Die Anschläge in Paris, gegen russische Urlauber, Schiiten in Beirut, demonstrierende Kurden in Ankara oder Badegäste in Tunesien waren nicht nur gegen die „Freiheit des Westens“, sondern auch gegen andere säkulare Mächte gerichtet, im Grunde gegen die Zivilisation überhaupt. Diese steht weltweit im unversöhnbaren Widerspruch zu den regressiven Zielen des Islamismus.

Die Kämpfe der Kulturen werden längst vom Kampf der Paradigmen zwischen Kulturalismus oder Zivilisation überlagert. Solange der Krieg in Syrien entlang der Linie „Demokratie oder Diktatur“ interpretiert wird, endet die westliche Politik in der Sackgasse. Wenn man autoritäre Mächte als das kleinere Übel gegenüber dem neuen Totalitarismus in neue Koalitionen einbezieht, ergeben sich auch neue Chancen für die Eindämmungspolitik. Der Westen kann nicht mehr wählerisch sein.

Eindämmung der Barbarei

Ibn Khaldun analysierte schon im 14. Jahrhundert, dass der harte Kern des Islams weder gesellschaftlichen noch wirtschaftlichen Gesetzen, sondern religiösen Impulsen und Sippenverflechtungen gehorcht. Je höher sich die Städte zivilisatorisch entwickeln, desto mehr verfielen sie in den Augen religiöser Eiferer dem Laster, was den Reinheitswillen der Wüstenvölker entfache. Diese Reinheit führt heute der IS gegen Andersgläubige und gegen säkulare Staaten ins Feld. Das saudische Regime versucht sich als Förderer von „Heiligen Kriegern“ von seinen Lastern freizukaufen, eine perfide Strategie zu Lasten Dritter, vor allem des Westens.

Da gerade die erfolgreiche Modernität Zorn und Begehrlichkeit von Barbaren entfacht, kann der Westen im Nahen Osten nicht viel richtig machen. An die Stelle der Universalisierung muss daher mehr Distanz treten. Statt sich in konfessionelle Kriege und Machtrivalitäten einzumischen oder sich via des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ in die Kämpfe von Clankulturen zu verstricken, statt sich mit obskuren Bündnispartner wie Saudi-Arabien und Katar einzulassen, sollte sich Europa auf das Eigene besinnen und dieses zu behaupten versuchen.

Selbstbehauptung nach innen

Es ist reine Naivität, keine Zusammenhänge zwischen dem vorrückenden Dschihadismus und den Chancen zu erkennen, die sich aus einer unkontrollierten Massenmigration ergeben. Von wem wurde das plötzliche Anschwellen des Flüchtlingsstroms eigentlich losgetreten? Das Natomitglied Türkei muss sich endlich bekennen, auf wessen Seite es steht.

Die Deutschen werden die Integration so vieler Muslime nur schaffen, wenn sie es besser machen als die Franzosen. Dort haben weder Sprachkenntnisse noch die Staatsbürgerschaft zur Integration verholfen. Die Gegensätze von Identität und Loyalität werden nicht durch die Beschwörung einer irrealen Leitkultur für alle, sondern nur durch eine konsequente Abklärung von Gegenseitigkeiten überwunden. Jedem Recht steht eine Pflicht gegenüber, Teilhabe setzt Teilnahme voraus, Hilfe gelingt nur bei Selbsthilfe, wer gefördert werden will, muss sich fordern lassen. Insbesondere für die Staatsbürgerschaft muss ein Bekenntnis zu den Leitstrukturen der Demokratie verlangt werden. Toleranz gilt entweder gegenseitig oder sie führt ihre Selbstzerstörung herbei.

Aufbau eines strategischen Konsenses

Große politische Veränderungen werden meist erst nach Katastrophen möglich. In Frankreich bringt die Regierung die Ausweisung von Gewalthetzern und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei Gefährdern auf den Weg. Solche Pläne wären vor kurzem noch als „rechts“ aus der Debatte verbannt worden. Wie unsinnig diese altideologischen Konflikte heute sind, zeigt sich schon in der falschen Alternative von „liberal“ und „konservativ“. Eine wehrhafte Demokratie bedeutet kein Mangel an Liberalität, sondern die Voraussetzung ihrer Bewahrung.

Islamisten können uns auch dann nicht willkommen sein, wenn sie sich Demokraten nennen. Sie meinen nicht unsere liberale Demokratie. Auch innergesellschaftlich brauchen wir Bündnisse für die Zivilisation. Im Kalten Krieg wurden die Koexistenz- und Eindämmungsstrategien durchgehalten, weil der Westen dabei auf einem breiten Konsens bauen konnte. Für den Kampf um die Zivilisation muss dieser strategische Konsens erst aufgebaut werden.